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hungen unterhielten, die voll auf unserer Linie lie-

gen, würde unsere Außenpolitik auf ein nettes, aber

doch eher kleines Kaffeekränzchen aus Europäern

zusammenschrumpfen, und dann noch nicht ein-

mal mit allen. Aber natürlich geht die Nato-Mit-

gliedschaft auch mit außen-, sicherheits- und vertei-

digungspolitischen Verpflichtungen einher. Ob sich

die Türkei auf Europa und den Westen zubewegt,

oder eher nach Osten drängt – das muss sie letztlich

selbst entscheiden.

Ihre künftige Rolle als Bundespräsident ist ja dem

Wesen nach eine einende. Angesichts des weltwei­

ten Erstarkens von Rechtspopulisten: Was ist Ihr

Plan, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu

festigen?

Ich glaube, um mit den aktuellen Herausforderun-

gen umzugehen – dazu gehört auch das Erstarken

von Populismus und Nationalismus in Europa –

brauchen wir eine lebendige und wache politische

Kultur, und zwar auch über alle gesellschaftlichen

Grenzen hinweg. Eine Kultur, in der wir uns nicht

mit einfachen Antworten zufrieden geben und die

Schuld nicht stets beim Anderen suchen. Sondern

in der wir auch mal heftig miteinander streiten kön-

nen, ohne den Respekt voreinander zu verlieren. Ich

bin zuversichtlich, dass das gelingen kann: Das, was

wir miteinander hier in Deutschland geschafft ha-

ben – die Verbindung vonwirtschaftlicher Vernunft

und sozialer Verantwortung – das hat uns weltweit

zu einem anerkannten Partner gemacht und dazu

können wir selbstbewusst stehen.

Foto: DBwV/ Willem gr. Darrelmann

Schon jetzt müssen wir aber auch

für den Tag danach planen. Des-

halb haben wir in der internatio-

nalen Anti-IS-Koalition von An-

fang an eine Führungsrolle für den

so wichtigen Bereich der Stabili-

sierung übernommen. Wir wollen

den Menschen in den Gebieten,

die von IS befreit sind, schnell

eine Perspektive für die Zukunft

bieten. In Mossul planen wir be-

reits mit den nationalen und lokal

Verantwortlichen, wie das gehen

kann. Das ist ein ganz essenzieller

Teil unseres umfassenden Ansatzes

im Kampf gegen IS. Denn Terroris-

mus und islamistischer Extremismus

sind militärisch allein nicht zu besie-

gen – weder in Europa noch im Irak und in Syrien.

In Kürze wird Donald Trump sein neues Amt als

Präsident der Vereinigten Staaten antreten – ein

Mann, den Sie im Vorfeld aus nachvollziehbaren

Gründen als „Hassprediger“ bezeichnet haben.

Welches Miteinander können Sie sich vorstellen?

Was wird auf IhrenNachfolger imAmt zukommen?

Wir müssen damit rechnen, dass die Außenpolitik

der neuen US-Administration weniger vorherseh-

bar sein wird, dass die Amerikaner künftig auch

häufiger im Alleingang entscheiden und natio-

nale Interessen mehr in den Vordergrund stellen

werden. Das betrifft jetzt schon die internationale

Handelspolitik mit dem von Donald Trump an-

gekündigten Ausstieg der USA aus dem Transpa-

zifischen Freihandelsabkommen, aber wird sich

wohl im Bereich der Außen- und Sicherheitspoli-

tik fortsetzen. Deshalb müssen wir abwarten, wie

Präsident Trump sich in der Klimapolitik oder

beim Umgang mit den Krisen in Syrien, im Na-

hen Osten und gegenüber Russland positionieren

wird. Ich hoffe, dass die künftige amerikanische

Administration das transatlantische Verhältnis zu

schätzen weiß – nicht nur gegenüber Deutschland,

sondern auch gegenüber Europa insgesamt. Dieses

Verhältnis ist das Fundament des Westens; es muss

intensiv gepflegt werden – von beiden Seiten.

Herr Trump hat eine Reihe wenig vielverspre­

chender Bemerkungen in Richtung Nato gemacht.

Was, glauben Sie, will er wirklich?

Die USA werden künftig sicher noch deutlicher for-

dern, dass sich die Europäer stärker an der Gewähr-

leistung der eigenen Sicherheit beteiligen. Das ist im

Prinzip nichts Neues: Auch mit einer Präsidentin

Clinton hätten wir uns auf diese Forderung ein-

stellen müssen und das ist seit Jahren Konsens. Im

wohlverstandenen Eigeninteresse sind wir gut bera-

ten, Europas Fähigkeiten auszubauen. Das Ziel der

Bundesregierung ist eine schrittweise Anhebung

des Verteidigungshaushalts – gleichzeitig müssen

wir aber auch darauf achten, noch mehr Synergien

zu schaffen bei den verschiedenen Verteidigungsfä-

higkeiten der Nato-Partner und zwischen Nato und

EU.

Entspanntes Gespräch im Auswärtigen Amt: Außenminis-

ter Frank-Walter Steinmeier mit Herausgeber Jan Meyer

Donald Trump. Die Europäer werden laut Steinmeier mehr

globale Verantwortung übernehmen müssen.

Zerstörte Gebäude in Aleppo: Der Außenminister hofft auf eine

Rückkehr zum politischen Prozess.

Was bedeutet das für die künftige Rolle der Nato?

Gerade im Umgang mit aktuellen Sicherheitsher-

ausforderungen ist es entscheidend, dass Nato und

EU ihre militärischen und zivilen Instrumente

besser miteinander verzahnen. Das gilt für die Ko-

operation bei der Cybersicherheit, aber auch für

gemeinsame Frühwarnmechanismen und aufein-

ander abgestimmte Militärübungen. Es ist gut, dass

wir beim letzten Treffen der Nato-Außenminister

in Brüssel Anfang Dezember eine entsprechende

Erklärung verabschieden konnten, die diese Punkte

aufgreift – jetzt kommt es auf die Umsetzung an.

Muss gegebenenfalls die europäische Sicherheits­

und Verteidigungspolitik gestärkt werden? Was

würde das für Deutschland bedeuten?

Wir müssen die EU so aufstellen, dass sie noch bes-

ser Sicherheit für die Menschen in Europa liefern

kann. Dafür arbeiten schon heute zivile Experten,

Polizisten und Soldaten in 17 Kriseneinsätzen der

EU auf drei Kontinenten zusammen.

Auch unter den EU-Mitgliedsstaaten gibt es eine

große Bereitschaft, die Gemeinsame Sicherheits-

und Verteidigungspolitik in Europa voranzubrin-

gen. Ich habe dafür mit meinem französischen

Kollegen Vorschläge gemacht; auch die Verteidi-

gungsministerin arbeitet hier eng mit ihren fran-

zösischen, italienischen und spanischen Kollegen

zusammen. Europa ist da auf dem richtigen Weg.

Klar ist aber auch: Wir müssen bereit sein zu mehr

gemeinsamer Finanzierung. Die Mühe wird sich

lohnen: Die Arbeit für einen stärkeren europäi-

schen Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit kommt

am Ende allen zugute, auch unseren transatlanti-

schen Partnern.

Wie entwickelt sich das Verhältnis zur Türkei?

Ein NatoPartner, der sich Russland und China

annähert?

Dass die Türkei ihre Beziehungen zu Russland oder

zu China aufbaut und pflegt, ist doch ganz normale

Außenpolitik. Dagegen ist erstmal nichts zu sagen.

Wenn wir uns die Welt so aufteilen würden, dass

wir nur noch mit denjenigen sprechen oder Bezie-

Fotos: dpa/picture alliance

DIE BUNDESWEHR | JANUAR 2017

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