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Angela Merkel (CDU), Horst

Seehofer (CSU, r.) und Sigmar

Gabriel (SPD) einigten sich 2013

auf eine Große Koalition.

F

Foto: dpa/Picture allince

Von Nikolaus Blome

Für AngelaMerkel ist 2017 der vierteWahlkampf

ums Kanzleramt. Aber fast nichts wird so sein wie

sonst. Nicht für sie, nicht für das Land.

Die Flüchtlingskrise geht an Merkels Mar-

kenkern. In der politischen Mitte, wo Bundes-

tagswahlen nach wie vor gewonnen werden,

herrscht so viel Verunsicherung wie lange nicht.

Die Wähler der Mitte beobachten ein vielfälti-

ges Vollzugsdefizit des Staates und sorgen sich,

ob Grenzen noch etwas gelten. Grenzen rund um

Deutschland, Grenzen der Integrationsfähigkeit,

Grenzen also auch für den Zuzug von Flüchtlin-

gen und Migranten. Das ist politisch ein gefährli-

cher Moment für eine Kanzlerin, deren Marken-

kern als Krisenmanagerin sinngemäß aus dem

Satz besteht: „Ich hab’s für Sie im Griff.“

Nikolaus Blome ist

stellvertretender

Chefredakteur der

„Bild“-Zeitung und

verantwortlich für

das Politik- und Wirt-

schaftsressort.

Bundestagswahl 2017

Alles neu für Merkel (und uns)

Die Volksparteien scheinen

weitgehend austauschbar,

der Gegensatz von „links“

und „rechts“ verschwunden.

Foto: Flashmedia

Angela Merkel steckt also in der Defensive. Sie

wird im Wahljahr 2017 nicht in der Lage sein,

ihre politischen Gegner zu lähmen. Im Gegen-

teil: Sie polarisiert zum ersten Mal selbst, als Per-

son. Sie hat ihren stolzen Satz: „Wir schaffen das“

weitgehend einkassiert, weil er mehr provoziert

als das erreicht, was gemeint war: nämlich An-

sporn zu sein und Haltung zu zeigen. Und, auch

das ist neu, Angela Merkel steckt in einer Zange

aus Rot-Rot-Grün und AfD. Die Parteien der

Großen Koalition bringen in manchen Bundes-

ländern keine regierungsfähige Mehrheit mehr

zusammen.

Der Überdruss geht auch auf die Berliner Ver-

hältnisse zurück, wo in sieben der letzten elf Jahre

eine Große Koalition regierte. Die beiden Volks-

parteien haben sich zu lange sicher gefühlt. „Die

Leute interessieren sich in Wahrheit doch gar

nicht für Politik“, so redet Merkel über die Mitte

der Gesellschaft, wenn sie im kleinen Kreis ein-

mal offen ist, und an der Spitze der SPD wird in

Wahrheit genauso gedacht. Aber CDU und SPD

haben die Experimentierfreude ihrer Wähler

unterschätzt oder deren Veränderungswut nicht

ernst genug genommen. Heute ist ein Grüner Mi-

nisterpräsident von Baden-Württemberg, und die

AfD sitzt in zehn Landtagen.

Der Verdruss vieler Neu-Wäh-

ler von Anti-Parteien wie den

Piraten oder der AfD wächst

aus der Wahrnehmung, dass

die beiden Volksparteien weit-

gehend austauschbar sind.

Dass der klassische Gegensatz

von „linkem“ und „rechtem“

Lager dauerhaft verschwun-

den scheint. Dass Union und

SPD gleichsam die Hillary

Clinton von Deutschland

sind. Erfahren, ja. Aber sattsam bekannt, sklero-

tisch, um nicht zu sagen: verbraucht.

Ändern kann das nur die Renaissance der La-

ger. Links oder rechts, jener Gegensatz, der eine

ganze Zeit lang an sein Ende gekommen schien

wie einst „die Geschichte“ im berühmten Buch

von Francis Fukuyama. Ein Lagerwahlkampf

aber könnte das Land und die Wähler im besten

Sinne polarisieren – damit sie sich nicht weiter

von den Rändern hinein in die Mitte radikali-

sieren. Dazu würde freilich gehören, dass SPD,

Linke und Grüne sich trauen, gemeinsam als

„Rot-Rot-Grün“ (Berliner Sprech: „R2G“) in

einen Bundestagswahlkampf zu ziehen. Denn

anders als mit R2G kann die SPD keine glaub-

hafte Machtperspektive darstellen – die ihr in

den Wahlkämpfen 2009 und 2013 so sehr fehl-

te. Schließlich: Ein klassischer Lagerwahlkampf

würde der AfD das Aufmerksamkeitsmonopol

abspenstig machen und damit die politischen

Ränder auf das normale Maß zurückstutzen.

Schließlich ist der Einzug der AfD in den Bun-

destag kein Naturgesetz. Denn: Wer Wut- und

Frust-Wähler bei Laune halten will, muss die Do-

sis aus Provokation und radikalen Forderungen

stetig erhöhen, Populismus ist eine Droge. Das

aber könnte die Partei erst zermürben und dann

zerreißen entlang der Trennlinie zwischen ihrem

offen fremdenfeindlich-völkischen Teil und jener

Gruppe, der sich die CDU/CSU der 80er Jahre

und die Zeit vor Globalisierung und Mauerfall

zurück wünscht, mitsamt dem damals geltenden

Frauen- und Familienbild.

Kurzum: Der Einzug der AfD in den Bundes-

tag ist alles andere als sicher. Sicher ist nur eines:

Eine weitere Große Koalition in Berlin wäre in

jedem Fall die falsche Antwort auf die Verunsi-

cherung der Mitte und das Auffächern der Par-

teienlandschaft. Es werden die Lager sein, die das

Land zusammenhalten.

DIE BUNDESWEHR | JANUAR 2017

G A S T B E I T R A G 9