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Die Erinnerung an die Wehrmacht lässt sich

nicht tilgen, aber es lässt sich daraus lernen.

Hier ein Foto aus dem Zweiten Weltkrieg:

Rekruten der Wehrmacht leisten den Schwur

auf die Reichskriegsflagge.

nahme versöhnen will, die sie für

die Wehrmachtsoffiziere im Wi-

derstand formuliert hat. Mit jeder

Henning-von-Tresckow-Kaserne,

Graf-Stauffenberg-Kaserne,

Gene-

raloberst-Hoepner-Kaserne werden

Männer heraufbeschworen, die an der

verbrecherisch enthemmten Kriegs-

führung beteiligt waren. Wollte man

die Verbrechen mit den Kasernen eh-

ren? Nein, man wollte die moralische

Karriere ehren, die Umkehr und mit

dem Hinrichtungstod beglaubigte

Buße, die diese Offiziere mit ihrer Hin-

wendung zum Widerstand vollzogen.

Das Vorbild für die Bundeswehr be-

steht in der Ermahnung, gottlose und

sittenwidrige Befehle zu verweigern,

gegebenenfalls sogar einem entgleis-

ten Staat „in die Speichen zu greifen“

(Dietrich Bonhoeffer), und zwar eher

früher als so spät, wie es die Verschwö-

rer des 20. Juli taten.

Dieses Vorbild würde aber zu den

Soldaten gar nicht sprechen, wenn

von der Wehrmacht stille geschwiegen

würde. Die Wehrmacht ist geradezu

die Folie, auf der das Selbstverständnis

der Bundeswehr entwickelt wurde und

vor der es auch heute noch verstanden

werden sollte. Insofern ist es auch nicht

von Nachteil, wenn in der Marineschu-

le Mürwik noch immer das kitschige Seestück

vom Untergang der „Bismarck“ im Mai 1941

hängt – kein Skandal, wie manche Kommentato-

ren meinen, sondern ein anschauliches Lehrstück

in doppelter Hinsicht, für militärische Führungs-

fehler, die in der menschenverachtenden Selbst-

versenkung gipfelten, und für die Sinnlosigkeit,

die der Opfertod hat, wenn die übergeordneten

Kriegsziele selbst schon menschenverachtend und

verbrecherisch sind. Aus demUntergang der „Bis-

marck“ können Bundeswehrsoldaten viel lernen,

unter anderem auch über verantwortungslose

Rüstungspolitik und Materialbeschaffung. Die

„Bismarck“ hatte bekannte technische Mängel;

schon ihre Indienststellung war zynisch.

Es ist eine reine Fiktion

Mit anderen Worten: Was das Gemälde dieses

Unglücksschiffs, was ein zerbeulter Wehrmachts-

helm, was Relikte überhaupt aus der Unheilszeit,

die hier und da gesammelt wurden, zur Anschau-

ung bringen, hängt einzig und allein von den his-

torischen Kenntnissen ab, die man den Soldaten

vermittelt hat. Wo verharmlosende Legenden

verbreitet sind, wird es nichts helfen, die Reli-

quien der Anbetung zu entziehen. Wo aber der

nationalsozialistische Abgrund aufgeklärt ist,

werden die letzten Stahlteile oder Stofffetzen, die

aus ihm noch ragen, nichts als Kummer, zumin-

dest schreckliche Ambivalenz, erzeugen. Denn

zum Letzten muss natürlich zugestanden werden,

dass es inmitten des Grauens auch militärische

Bravourstücke gab. Diese Intarsien streng von

dem überwölbenden Unheilszusammenhang zu

trennen dürfte niemand überfordern, der über-

haupt bereit ist, sich seines Verstands zu bedie-

nen. Übrigens dürfte die Vergegenwärtigung

taktischer Einzelleistungen oder folgenloser

Verantwortungsgesten eher noch die Schwermut

verstärken: Selbst das Beste wurde vergeudet und

missbraucht.

Manches spricht freilich dafür, dass die Bun-

deswehrkritiker derzeit nicht mehr bereit sind,

sich ihres Verstands zu bedienen und das eine

vom anderen zu trennen. Es wird alles verrührt

und einer panischen Logik des Verdachts ausge-

setzt. Das trotteligste Beispiel ist die Empörung

darüber, dass sich das Wachbataillon alter Wehr-

machtskarabiner beim Präsentieren bedient. Tat-

sächlich handelt es sich, moralisch betrachtet, um

eine höchst befriedigende Geste. Nichts ist bewe-

gender, als dasWachbataillonmit ebendieserWaf-

fe zur Gedenkfeier des Widerstands am 20. Juli

jeden Jahres im Bendlerblock aufziehen zu sehen.

Dass eine Wehrmachtswaffe zu Ehren derer prä-

sentiert wird, die als Verräter galten, bedeutet ei-

nen vollendeten Sieg der demokratischen Armee

über die Gespenster der Vergangenheit.

Es ist eine reine Fiktion, und lügenhaft dazu, so

zu tun, als wäre die Bundeswehr aus dem Nichts

entstanden und könnte allein aus sich heraus eine

Tradition begründen. Eine Stunde null gab es für

sie ebenso wenig wie für den Nachkriegsstaat und

die Nachkriegsgesellschaft, in denen noch lange

die Gespenster nachspukten. Aus deren Vertrei-

bung, nicht aus deren Leugnung bezieht die Bun-

desrepublik bis heute Selbstbehauptungswillen

und moralische Energie, und nicht anders kann

es für die Bundeswehr sein. Es ist ein

deutscher Sonderfall – aber unkorri-

gierbar –, dass der Abstoßungspunkt,

der Selbstbehauptung und Identität

begründet, nicht außerhalb der deut-

schen Grenzen liegt, sondern inner-

halb der eigenen Geschichte. Schon

deswegen muss sie präsent bleiben,

und meinetwegen mit einem zerschos-

senen Wehrmachtshelm in der Offi-

ziersmesse.

In einer anderen Hinsicht aber ist

die Bundeswehr kein Sonderfall, son-

dern eine Truppe wie jede andere auf

der Welt, die auf Jahrtausende des

Kriegshandwerks zurückblickt. Man

kann es verfluchen, aber so ist es nun

einmal. Wie es vor der Bundesrepu-

blik schon andere deutsche Staaten

gab, zu Zeiten sogar im Überfluss, gab

es auch vor den Bundeswehrsoldaten

andere deutsche Soldaten. Auch die

Landsknechte Georgs von Frunds-

berg, die den Papst 1526 bei Brescia schlugen,

waren deutsche Soldaten, auch die hessischen

Landeskinder, die seit 1776 in englische Dienste

verkauft wurden, auch die bayerischen Artilleris-

ten, deren Erfolg bei Sedan 1870 Napoleon III.

zur Abdankung zwang. Alle diese bilden den his-

torischen Horizont selbst einer demokratischen

Bundeswehr, einschließlich der Lebensbilanz

Frundsbergs: „Drei Dinge sollten jedermann vom

Krieg abschrecken: die Verderbung und Unter-

drückung der armen, unschuldigen Leute, das

unordentliche und sträfliche Leben der Kriegs-

knechte und die Undankbarkeit der Fürsten.“

Es wäre gewiss nicht hilfreich – und weltfremd

dazu –, Soldaten der Bundeswehr durch einen

verschärften Traditionserlass vor Einsichten des

sechzehnten Jahrhunderts zu bewahren, die ge-

rade eben noch, in den Jugoslawienkriegen der

1990er Jahre, ihre Aktualität bewiesen haben.

Noch weniger hilfreich wäre – und unschön dazu

–, wenn sich Regierung und Öffentlichkeit der

Bundesrepublik die Undankbarkeit der Fürsten

zueigen machten. Die Soldaten sind nicht nur

bereit, in unserem Auftrag zu töten, sie sind auch

bereit, dabei zu sterben. Man muss es nicht feiern;

aber es ist auch keine Kleinigkeit.

Der Journalist und Publizist

Jens Jessen

ist als

Redakteur im Ressort Feuilleton der „Zeit“ tätig.

Der Artikel erschien inAusgabe 22/2017 der „Zeit“.

Foto: SZ Photo

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

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