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Foto: Bundeswehr/Schrief

Die Bevölkerung

sieht den Sol-

daten zuerst als

Schützer, Helfer,

wie hier beim

Hochwasser-

einsatz 2013.

der Politik, Gehorsamspflicht und seine Grenzen,

Kameradschaft, Wahrheitspflicht), die Parla-

mentsarmee. Soldat für den Rechtsstaat und im

Rechtsstaat, Soldat zur Friedenssicherung.

Diese Normen sind die fundamentale Lehre

aus dem kollektiven Trauma des deutschen An-

griffskriegs gegen die europäischen Nachbarn,

als die Wehrmacht williges Werkzeug eines gi-

gantischen Staatsverbrechens und Wegbereiter

von Völkermorden wurde, als soldatische Tugen-

den pervertiert wurden. Die Wertebindung ist

eine Absage an den Krieger und Söldner. Dieser

komplexen und hohen Anforderungen heutiger

Kriseneinsätze der Gesellschaft zu vermitteln.

Im Einsatz richtig gehandelt

Nach mehr als zwanzig Jahren deutscher Beteili-

gung an internationalen Kriseneinsätzen ist de-

ren Bilanz gemischt: Die Soldaten meisterten die

enormen Anforderungen sehr professionell und

diszipliniert, mit hohem Einsatz, viel Umsicht

sowie interkultureller Kompetenz. Bei örtlichen

Bevölkerungen erwarben sie sich durchweg einen

guten Ruf. Die Untersuchungen der G36-Kom-

dung. Damit wuchs die Distanz zu einer in ihren

politischen Erwartungen gewaltabstinenten Ge-

sellschaft. Vor allem die verantwortliche Politik

sah da lieber weg, ließ die Einsatzsoldaten zu lan-

ge allein – oder nahm sie „nur“ als Verwundete

und Gefallene, kaum als Kämpfer war. „Tatorte“

stellten Einsatzrückkehrer immer wieder unter

Verrohungsverdacht (Befragungen von Bundes-

wehrsoldaten widersprachen dem). Gegenüber

ihren elementaren Grundbedürfnissen nach

Sinn, Zusammenhalt, Identifikation, Vorbildern

und Orientierung blieben Politik sowie Gesell-

schaft stumm. Das beförderte eine „Privatisie-

rung“ der Suche nach eigenen Leitbildern. Hier

müsste nicht zuletzt eine zeitgemäße Traditi-

onspflege ansetzen, die sich viel mehr aus den 60

Bundeswehrjahren speisen kann.

Was schulden Gesellschaft und

Politik den Soldaten?

Zu allererst Aufmerksamkeit, Interesse, genaueres

Hinsehen. Alle Bürger müssten, unabhängig von

ihrer Haltung zu Militär allgemein, ein Interesse

daran haben, dass die Bundeswehr in Gesellschaft

und Rechtsstaat integriert ist. Kommunikation,

Diskussion, Streit ja, Ausgrenzung nein!

Respekt und Dank wird den Soldaten im Bun-

destag oft und fraktionsübergreifend ausgespro-

chen. Das ist auch ehrlich gemeint. Aber es muss

sich auch in der politischen Praxis niederschla-

gen: Bundesregierung und Bundestag stehen in

der Pflicht zu klaren, erfüllbaren sowie glaub-

würdigen Aufträgen. Einsätze müssen Aussicht

auf Erfolg haben und Sinn ergeben. Das betrifft

die Ziele wie die Mittel. Die politische Führung

muss überzeugen können, um Handeln aus Ein-

sicht zu ermöglichen. Das geht nur mit Ehrlich-

keit, Konsequenz, mit einer Fehler- und Vertrau-

enskultur. Innere Führung fängt oben an. Die

unangenehme Wahrheit: Über Jahre verlorenes

Vertrauen muss zurückgewonnen werden.

Der Primat der Politik braucht das freie Wort

von Staatsbürgern in Uniform auch in der Öf-

fentlichkeit. Politik muss das endlich ermutigen

statt sanktionieren.

Der deutsche Politiker

Winfried Nachtwei

(Bündnis 90/Die Grünen) ist Experte für

Friedens- und Sicherheitspolitik.

Winfried

Nachtwei

Foto: privat

Rahmen ist in Politik und Gesellschaft weitge-

hend unstrittig.

Die Bundeswehr soll in die Gesellschaft inte-

griert sein. Insofern spiegeln sich in ihr selbstver-

ständlich auch gesellschaftliche Entwicklungen.

Als Träger des rechtsstaatlichen Gewaltmono-

pols nach außen müssen Bundeswehrsoldaten

aber höheren Ansprüchen genügen als die „Nor-

malbürger“. Fremdenfeinde und Gegner der

Verfassungsordnung haben in der Bundeswehr

nichts zu suchen.

Nach Ende des Kalten Kriegs haben sich die

sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen

und die damit einhergehenden Anforderungen

an Soldaten erheblich verkompliziert sowie auf-

gefächert: Die Abschreckungsarmee mit Vertei-

digungsauftrag wurde zur Einsatzarmee. Statt

„Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müs-

sen“, heißt es bei Kriseneinsätzen „Kämpfen kön-

nen, um bei Bedarf erfolgreich zu kämpfen“. Im

Feld müssen militärische, zivile und polizeiliche

Akteure zusammenwirken.

Zugleich driften die Erfahrungswelten der

Einsatzsoldaten mit ihren jeweils sehr unter-

schiedlichen Verwendungen und der friedens-

gewohnten Heimatgesellschaft auseinander.

Immer weniger Menschen in Deutschland haben

persönlichen Kontakt mit Bundeswehr und Sol-

daten. Einsatzrückkehrer empfinden „zu Hause“

viel mehr Desinteresse als Aufmerksamkeit, gar

Unterstützung. Stellenweise erleben Soldaten in

der Zivilgesellschaft massive Ablehnung, gar Be-

leidigung.

Der Politik gelang es bisher nur unzureichend, die

mission ergaben, dass der Schusswaffeneinsatz

bei den allermeisten Einsätzen minimal und das

Gefechtsverhalten in der Kriegsphase des Af-

ghanistaneinsatzes bemerkenswert kontrolliert

war. Auf der taktischen Ebene waren die Bundes-

wehrsoldaten ihren Gegnern ab 2010 durchweg

überlegen. Wer als Nichtmilitär Bundesehrsolda-

ten im Einsatzgebiet traf, war von deren Selbst-

verständnis immer wieder angetan.

Anders sieht es mit dem Einsatzerfolg im

Großen aus: Die im Sinne des Auftrags Kriegs-

verhütung erfolgreichen und gewaltarmen Bal-

kaneinsätze sind überwiegend „vergessen“. Beim

Afghanistan-Einsatz bestand die Bundeswehr

ihre bisher härteste Bewährungsprobe. Aber: Das

militärische Einsatzziel von ISAF, ein sicheres

Umfeld zu hinterlassen, wurde wegen politischer

Großfehler beim Gesamteinsatz der internatio-

nalen Koalition nicht erreicht. Einsatzrückkeh-

rer sind jetzt mit dem nachträglichen Sinnverlust

ihres Einsatzes konfrontiert – und damit allein.

Als die deutschen ISAF-Soldaten ab 2007

mit immer mehr Hinterhalten, Anschlägen und

wucherndem Guerillakrieg konfrontiert waren,

wurde das von der politischen Führung ignoriert

sowie schöngeredet. Wo der Stabilisierungsauf-

trag von der Lageverschärfung konterkariert

wurde und an Glaubwürdigkeit verlor, waren die

Einsatzsoldaten draußen zunehmend auf sich

selbst zurückgeworfen: auf ihre Professionalität,

auf die Kameradschaft der kleinen Kampfge-

meinschaft. Die Gefechtssoldaten agierten im

scharfen Kernbereich des Soldatenberufs, der

staatlich organisierten tödlichen Gewaltanwen-

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

T I T E L : B E R U F S E T H O S 31