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sondere Form der Kameradschaft in der kleinen

Kampfgemeinschaft, die Erwartung auf zumin-

dest den Respekt der eigenen Bevölkerung sowie

die offensichtliche Notwendigkeit für Vorbilder

gehört. Und zwar nicht nur im deutschen Heer,

sondern in allen Landstreitkräften weltweit.

Eben ein strukturelles Phänomen. Es ist äußerst

schwierig, all diese Elemente anzusprechen, ohne

dabei in ein Pathos zu

verfallen oder sie ide-

ell zu überhöhen. Aber

diese Schwierigkeit

führt nicht dazu, dass

die Punkte weniger

richtig werden.

Wozu all diese Ab-

leitungen und Ge-

danken? Nun, zum

Foto: dpa/picture alliance

Generalleutnant Jörg Vollmer, hier beim Besuch der Soldaten des Jägerbataillons 291

Von den Streitkräften wird verlangt, unter Einsatz des eigenen Lebens einen Gegner auch

mit archaischen Methoden zu besiegen. Hier: Peschmerga-Ausbildung im Irak

Die Soldaten des Heeres

blicken im Gegensatz zu

anderen Teilstreitkräften

auch immer wieder in

die Waffenmündung des

Gegners.

GENERALLEUTNANT JÖRG VOLLMER

Die Offensive „Gutes Führen“ des Heeres zielt ge-

nau auf diese Aktivierung.

Die Traditionsdebatte zieht sich wie ein roter

Faden durch die Geschichte der Bundeswehr und

der Bundesrepublik Deutschland. Eine breit an-

gelegte Diskussion ist jetzt zur Überarbeitung

des Erlasses initiiert. Das Heer wird diesen Pro-

zess aktiv begleiten und durch ein eigenes Projekt

flankieren. Damit wollen wir versuchen, uns dem

Wesenskern soldatischen Daseins, dem Kampf,

zu nähern und Ableitungen hinsichtlich der Not-

wendigkeit traditionsstiftender Identifikations-

oder Bezugsmodelle zu erarbeiten.

Warum gehen wir diesen Weg? Von Streit-

kräften wird verlangt, einen Gegner in letzter

Konsequenz physisch an der Ausführung seines

Auftrags und zwar mit militärischer Gewalt zu

hindern. Die möglichst professionelle, diskri-

minierende und präzise

Anwendung militäri-

scher Gewalt gehört also

zur „Essenz der Dinge“

von Streitkräften. Fo-

kussiert auf die Welt des

Heeres beziehungsweise

der Landstreitkräfte er-

folgt diese Anwendung

militärischer Gewalt als

besonderes Alleinstel-

lungsmerkmal stets in-

mitten von Menschen.

Menschen, von denen

die Masse nicht zum

Gegner, sondern zur zu

beschützenden Bevölke-

rung gehört. Menschen,

die bewusst als Schutz-

schilder zur Provokation

von sogenannten Civil

Casualities benutzt werden. Menschen, unter

denen asymmetrische oder verdeckt operierende

Kämpfer für unsere Soldaten unentdeckbar ver-

schwinden können.

Auch wenn die Soldaten des Heeres ebenfalls

in Waffensystemen sitzen, „Knöpfe drücken“

und dabei „in Bildschirme schauen“, blicken sie

im Gegensatz zu anderen Teilstreitkräften aber

auch immer wieder in die Waffenmündung des

Gegners, in die Gesichter der betroffenen Bevöl-

kerung oder direkt in die Augen des Feindes. Die

Heeressoldaten sind da. Unter den Menschen. 24

Stunden. Oft über Monate, über Jahre, manch-

mal Jahrzehnte.

Genau das kann beim Heeressoldaten dann zu

einer immer größer werdenden „Schere“ führen

zwischen einer auf Selbstoptimierung ausgerich-

teten postheroischen Gesellschaft und der Not-

wendigkeit, unter Einsatz des eigenen Lebens

– oder das seiner Kameraden – einen Gegner ge-

gebenenfalls auch mit archaischen Methoden zu

besiegen. Es gehört zur „Essenz der Dinge“, dass

auch in einer „Unter dem Strich, zähl ich“-Gesell-

schaft nur der besser ausgebildete Soldat in einer

Duellsituation überlebt.

Genauso gehört es zum unveränderlichen We-

senskern von Streitkräften, dass dazu eine be-

Das Heer wird im engen Schulterschluss mit den

anderen Teilstreitkräften und Organisationsbe-

reichen den Prozess der Umsetzung sowie Erar-

beitung des Fähigkeitsprofils der Bundeswehr

dazu nutzen, die bisher eingeleiteten Trendwen-

den, den Materialzulauf, die notwendige Moder-

nisierung und Digitalisierung des Heeres sowie

die notwendige Verbesserung unterstützender

sozialer Rahmenbedingungen so miteinander zu

verknüpfen, dass ein permanenter und schrittwei-

ser Fähigkeitsaufwuchs über den Weg personell

sowie materiell voll alimentierter Kräftedisposi-

tive erreicht werden kann. Entscheidend ist es,

den Angriffsschwung nicht zu verlieren. Dazu

aber müssen die immer noch gültigen Drosse-

lungen bei der Beschaffung 2018 aufgehoben

werden. Quantität wird noch eine geraume Zeit

die neue Qualität sein. Das Fähigkeitsprofil ist in

meinen Augen die große Chance, das Heer und

die Landstreitkräfte zielführend, koordiniert so-

wie harmonisiert wieder an ihre „Essenz der Din-

ge“ heranzuführen.

einem um deutlich

zu machen, wie groß

das Spannungsfeld

zwischen den Ent-

wicklungen unserer

Gesellschaft und dem

Wesen unserer Auf-

tragserfüllung ist. Um

aufzuzeigen,

welch

große Leistungen un-

seren Soldatinnen und

Soldaten auf allen Ebe-

nen immer wieder aufs

Neue abverlangt werden. Zum anderen, um zu

zeigen, welche Aufgabe den politischen, aber auch

militärischen und zivilen Entscheidern in diesem

Kontext zufällt. Diese haben nämlich sicherzu-

stellen, dass die inneren und äußeren Faktoren

so ausgestaltet werden, dass die Streitkräfte ihren

Kernauftrag auch glaubhaft erfüllen können.

Dazu gehören unter anderem robuste Personal-

strukturen, vor allem qualitativ und quantitativ

ausreichendes Material sowie attraktive Rah-

menbedingungen des Dienens als Grundvoraus-

setzungen zur Erfüllung unserer Aufgaben als

deutsches Heer. Viel ist erreicht worden durch die

eingeleiteten Trendwenden.

Foto: Bundeswehr/Schulz

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

T I T E L : B E R U F S E T H O S 27