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Grundpflichten und Korpsgeist

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

Von Jürgen Reichardt

Mit ihrer Absicht, die Wehrdisziplinarordnung

der Bundeswehr zu ändern, findet Ministerin von

der Leyen viel öffentliche Zustimmung. Wissen

alle, worum es da geht? Die ethischen und kon­

stitutionellen Grundlagen der Bundeswehr, nie­

dergelegt in der Wehrgesetzgebung von 1955/57,

Der Vorwurf, aus Kameraderie Missstände zu verschweigen, enthält zugleich den

ehrverletzenden Vorwurf einer kollektiven Pflichtverletzung. Dass sich die Führung öffentlich

auf die Seite der Kritiker stellt, befremdet die Truppe außerordentlich.

gelten unverändert seit mehr als sechzig Jahren,

haben bisher jeden Reformeifer überstanden,

Generationen von Offizieren geprägt und hatten

bisher zu einer bemerkenswerten Homogenität

im Denken sowie Handeln des mehr als vierzig

Jahrgänge umfassenden Offizierkorps geführt.

Offiziere sind Vorgesetzte. Dazu werden sie aus­

gebildet, erzogen, geschult. Nur wer

sich bewährt, kann aufsteigen. Die

Grundpflicht aller Soldaten verlangt,

der „Bundesrepublik Deutschland

treu zu dienen und das Recht und die

Freiheit des deutschen Volkes tapfer

zu verteidigen“ (§ 7 Soldatengesetz).

Das hat der Soldat zu geloben oder zu

schwören. Er muß ferner „die freiheit­

liche demokratische Grundordnung

(...) anerkennen und (...) für ihre Er­

haltung eintreten“. Diese Pflicht bildet

die Grundlage der politischen Bildung

in den Streitkräften, welche andere

Berufsgruppen nicht genießen.

Vom Vorgesetzten wird darüber

hinaus verlangt, in „Haltung und

Pflichterfüllung ein Beispiel“ zu ge­

ben. Wie das geschieht und was das

bedeutet, ist Gegenstand der Aus­

bildung zum Offizier an den Schu­

Eine Armee, in welcher

Gesinnungsschnüffelei und

Denunziantentum zur

Führungskultur gehören, kann

auf Kameradschaft, selbstständiges

Handeln und Vertrauen in

Vorgesetzte wie Untergebene

vollständig verzichten.

JÜRGEN REICHARDT

len sowie in der Truppe und endet mit keiner

Beförderung. Wenn die Inhaberin der obersten

Befehlsgewalt öffentlich feststellt, die Bundes­

wehr, somit vor allem die Vorgesetzten, hätten ein

„Haltungsproblem“, so bedeutet das nicht weni­

ger als den Vorwurf der kollektiven permanenten

Pflichtverletzung.

Der Vorgesetzte ist für die Disziplin seiner

Untergebenen verantwortlich, muss also selbst­

ständig (im Rahmen seiner Dienstvorschriften)

die dafür nötigen Maßnahmen ergreifen – vor­

sorglich wie reagierend. Er wird nicht erzogen,

zu beobachten und zu melden, sondern zu han­

deln. Das kennzeichnet unser Disziplinarwesen.

Dessen Grundsätze, Vorschriften und Regeln

sind in der „Wehrdisziplinarordnung“ (WDO)

festgelegt. Sie ist, anders als das Wehrstrafgesetz,

ein Gesetz zur Erziehung der Soldaten durch

Lob, Tadel oder Ahndung. Deshalb regelt ihr

erster Teil die Würdigung und Anerkennung

von Leistungen, ein anderer die Ahndung von

Pflichtverletzungen. Beides ist im Regelfall dem

nächsten Disziplinarvorgesetzten übertragen. Er

hat selbstständig zu ermitteln, zwingend den Be­

schuldigten anzuhören, er muss alles prüfen und

bewerten, was zu dessen Entlastung angeführt

werden kann. Zu entscheiden hat er selbstständig.

Im Krieg waren Disziplinarvorgesetzte oft von

Foto: dpa/picture alliance

Hat die Bundeswehr ein Haltungsproblem?

Hier: feierliches Gelöbnis im Bendlerblock

T I T E L : B E R U F S E T H O S

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