Previous Page  13 / 33 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 13 / 33 Next Page
Page Background

Mein Wertesystem hat sich verschoben

Militärdekan

Michael Rohde war

mit dem 24. und

31. ISAF-Kontingent

in Masar-e-Sharif

und mit dem 11. Kon-

tingent EUTM in Mali.

Die Bundeswehr:

Welche Motivation bewegt

nach Ihrer Beobachtung Soldaten, sich in Ge-

fahr für Leib und Leben zu begeben und unter

Umständen sogar das „Töten-Müssen“ in Kauf

zu nehmen?

Michael Rohde:

In meiner Tätigkeit in der Mi-

litärseelsorge habe ich bisher keine Soldatin und

keinen Soldaten kennengelernt, der aus Lust an

der Ausübung von Gewalt seinen verantwor-

tungsreichen Beruf ergriffen hat beziehungsweise

dem die Anwendung von Gewalt leichtfällt oder

sogar Spaß macht. Im Gegenteil erlebe ich viele

sehr reflektierte Soldatinnen und Soldaten, die

die Anwendung von Gewalt – gerade auch in der

Vorbereitung auf Auslandseinsätze – für sich und

Hat sich aus Ihrer Sicht das Berufsethos nach den

schweren Kämpfen in Afghanistan 2009/2010

verändert?

Ich kann hier für mich persönlich sprechen. Nach

den zum Teil sehr heftigen Kämpfen und Erleb-

nissen von Gewalt und Tod in meinem Afghanis-

tan-Einsatz 2010/2011 habe ich die Herausfor-

derungen, vor denen Soldatinnen und Soldaten

stehen, ganz anders zu bewerten gelernt. Dieser

Einsatz hat auch mich verändert. Mein Wertesys-

tem hat sich verschoben und mir ist immer deut-

licher geworden, wie sehr wir als Gesellschaft sehr

genau darauf achten müssen, in welche Auslands-

einsätze wir unsere Soldatinnen und Soldaten

schicken. Daraus resultiert für mich persönlich

auch die Konsequenz, dass ich bereit bin, die Sol-

datinnen und Soldaten als Militärseelsorger in

die Einsätze zu begleiten, in die sie von unserem

Parlament geschickt werden, egal wie ich persön-

lich zu einer Sinnhaftigkeit stehe. Meine Aufgabe

ist es, mich um die Soldatinnen und Soldaten zu

kümmern und nicht, die Einsätze zu begründen

oder zu befürworten.

Gibt es eine Lücke zwischen der Lebenswirklich-

keit der Einsatzsoldaten und der unserer Wohl-

standsgesellschaft? Wenn ja, wie groß ist sie?

Lücken entstehen häufig in den Rückkehrphasen.

Die Lebenswirklichkeit und die zum Teil sehr

verstörenden Bilder aus den Einsätzen müssen

mit den Bildern und Eindrücken in Deutschland

wieder synchronisiert werden. Häufig gelingt das

nur schwer. Häufig verbleibt eine Lücke. Wenn

diese Lücke zwischen den beiden Bezugsrahmen

auch nach einer angemessenen Ankommenszeit

zu groß bleibt, ist unbedingte Orientierungshilfe

von außen und zum Teil auch eine Psychothera-

pie nötig, damit an diesen Erfahrungen nicht das

gesamte Sozialsystem zerbricht. In meiner Arbeit

mit psychotraumatisierten Soldatinnen und Sol-

daten merke ich, wie wichtig die Kommunika-

tion und das Bemühen um einen gemeinsamen

Weg innerhalb der Familien sind. Geduld und

Interesse, auch von Freundinnen und Freunden,

Bekannten und Nachbarn, können dabei helfen.

Was könnte man aus Ihrer Sicht tun, um even-

tuelle Defizite anzugehen?

Ich wünsche mir häufig mehr Respekt vor dem

Dienst der Soldatinnen und Soldaten. Bei aller

dringend notwendigen kritischen Distanz, zum

Teil auch bei allem berechtigen Unverständnis

auch aus religiösen Erwägungen, ist es meiner

Einschätzung nach wichtig, sich während der

Einsätze und vor allem auch nach der Rückkehr

um die MENSCHEN zu kümmern und sie nicht

wegen ihres Dienstes zu ignorieren oder sogar zu

diskreditieren.

Foto: Bundeswehr/Weber

Militärdekan Michael Rohde, Leiter des Evangelischen Militärpfarramts Hamburg I, geht als Militärseelsorger

mit der Bundeswehr in den Einsatz. Er wünscht sich mehr Respekt vor dem Dienst der Soldaten.

In meiner Tätigkeit in

der Militärseelsorge habe

ich bisher keine Soldatin

und keinen Soldaten

kennengelernt, dem die

Anwendung von Gewalt

leichtfällt oder sogar Spaß

macht.

MICHAEL ROHDE

Militärseelsorger begleiten Soldaten der

Bundeswehr in den Einsatz. Dort feiern sie die

Heilige Messe, spenden Sakramente, nehmen

Anteil an Sorgen, Nöten und Konflikten.

ihre Kameradinnen und Kameraden immer als

„Ultima Ratio“, als letzte, anzuwendende Mög-

lichkeit ansehen, nachdem alle anderen Metho-

den intensiv versucht wurden und dann geschei-

tert sind.

Haben Sie den Eindruck, dass den Soldaten

Halt und Orientierung für die Extremsituation

des Kampfes fehlen?

Wichtig ist meiner Einschätzung nach eine offene

und klare Vorbereitung auch gerade auf die psy-

chischen Herausforderungen, die im Einsatz auf

die Soldatinnen und Soldaten zukommen können.

Dazu gehört, sich auch intensiv mit dem Thema

„Töten“ und auch „Getötetwerden“ auseinander-

zusetzen. Dazu ist es nötig, diese Worte auch zu

gebrauchen und nicht durch Euphemismenwie „ein

Ziel bekämpfen“ zu ersetzen und damit zu bagatel-

lisieren.

T I T E L : B E R U F S E T H O S 19

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017