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zu sehen, der unter der Androhung, selbst an die

Wand gestellt zu werden, zum notgedrungenen

Werkzeug des Terrors geworden war. Der soge-

nannte Befehlsnotstand musste als Rechtferti-

gung herhalten und infizierte jeden Versuch der

ehrlichen Aufarbeitung.

Gegen diese Infektion wurde die Bundeswehr

von Geburt an geimpft. Das Mittel heißt „Innere

Führung“ und besteht aus mehreren Ingredien-

zen. Der Integration in Staat und Gesellschaft,

dem Leitbild des Staatsbürgers in Uniform, der

Legitimation des Auftrags, den Grenzen von Be-

fehl und Gehorsam und dem Prinzip des Führens

mit Auftrag kommt von diesen Zutaten für die

Beurteilung der derzeitigen Lage der Bundeswehr

wohl die größte Bedeutung zu.

Kurz gefasst bedeuten sie, dass jeder Soldat

der Bundeswehr immer auch voll berechtigter

Bürger bleibt und so Teil der Gesellschaft, und

dass er auf seiner Ebene Entscheidungen immer

selbst verantwortet. Ob Gefreiter oder General,

ein Soldat der Bundeswehr muss Befehle undAuf-

träge auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen und

unrechtmäßige Befehle verweigern. Jeder Soldat

dieser neuen Armee sollte die Demokratie und

raten, diesen Schritt zu gehen, weil wir diese Ar-

mee doch nicht nur den Konservativen überlassen

könnten. Das sei zum erstenMal in der deutschen

Geschichte eine Armee, die aus den richtigen

Gründen existiere und die uns alle repräsentiere.

Deswegen sei es wichtig, dass auch junge Män-

ner mit meinen politischen Einstellungen in ihr

dienen würden, sonst würde es irgendwann viel-

leicht kippen.

Die Grundausbildung war kein Spaziergang,

aber auch weit entfernt von irgendeiner Hölle.

Wenn mir etwas gegen den Strich ging, las ich,

was dazu im Soldatengesetz stand und vertrat

dann meinen Standpunkt. Mein Gruppenführer

war nicht die hellste Kerze auf der Torte und im

einzigen Suff, den er sich je mit uns erlaubte, son-

derte er rassistische Sprüche ab, woraufhin ihm

Eiseskälte seiner Untergebenen entgegenschlug

und er recht flott das Mannschaftsheim verließ.

Vielleicht hatte ich Glück. Es gab und gibt immer

auch Schleifereien bei der Bundeswehr. Es gab

und gibt Verletzte und Tote. Gebrochene Men-

schen. Es gab und gibt Rechtsextremisten.

Es ist eine Binse, dass Dienst in der Bundeswehr

Menschen mit rechtsextremen Einstellungen an-

zieht. Es ist aber auch eine Tatsache, dass in aller

Regel nichts so zuverlässig zu disziplinaren Maß-

nahmen bis hin zur Entlassung führt, wie das Auf-

fälligwerden solcher Einstellungen. Die Innere

Führung, die fortwährende Sensibilisierung in der

Vorgesetztenausbildung, die drastischen Verände-

rungen in der Bundeswehr von den Auslandsein-

sätzen über dieÖffnung aller Laufbahnen auch für

Frauen bis hin zur Aussetzung der Wehrpflicht,

die von der Bundeswehr immer wieder Aufmerk-

samkeit nach innen, Wandel, Anpassung an neue

Gegebenheiten fordern – das alles steigert die

Wachsamkeit, kostet aber auch Kraft.

Und die Soldaten dieser Bundeswehr mussten

sich seit 1991 in atemberaubendem Tempo in ih-

rer militärischen Verfasstheit mehrfach um die

eigene Achse drehen. Von der Massenarmee des

Kalten Kriegs in eine kleinere professionelle Ein-

satztruppe. Und damit vom theoretischen Krieg

hin zum tatsächlichen. Neben dem Erlernen und

Trainieren militärischen Handwerks geriet durch

die sich intensivierende Bedrohungslage in Af-

Foto: Bundeswehr/Koch

Bundeswehrsoldaten wurden schon immer für den Kampf ausgebildet – auf dem Bild eine Übung von

Kampfrettern in Masar-e-Sharif im Jahr 2016. Tod und Verwundung sind allerdings erst seit dem Einsatz in

Afghanistan zur Realität geworden.

Foto: privat

Hauptfeldwebel d.R. Gregor Weber ist Autor und

Schauspieler. Unter anderem spielte er zehn Jahre lang

Kommissar Stefan Deininger im saarländischen „Tatort“.

Nach dem Wehrdienst bei der Marine wechselte er in der

Reserve zum Heer und leistet dort seit gut zehn Jahren

regelmäßig Dienst als Pressefeldwebel in der Gebirgs- und

Fallschirmjägertruppe. In dieser Funktion war er 2013 auch

im ISAF-Einsatz in Kundus.

Als die Wehrpflichtigen

aus den Kasernen

verschwanden, geriet

der Austausch zwischen

Armee und Bevölkerung

ernstlich ins Stocken.

GREGOR WEBER

ihre Werte als untrennbaren Teil seiner Nation

begreifen, als das, wofür er im Ernstfall kämpft.

Um das lebendig zu halten, darf man ihm auch

in Uniform niemals den vollen Schutz dieser Frei-

heiten und die Rechte des Bürgers einer Demo-

kratie nehmen. Freier unter Freien, eingebunden

in eine Hierarchie zwar und in ein System, das

nur durch Befehl und Gehorsam funktionieren

kann, ihm aber – durch das Prinzip „Führen mit

Auftrag“ – die volle Verantwortung für erhalte-

ne Aufträge überträgt und ihm zutraut, stets die

Absicht seiner Führung zu begreifen und seine

Auftragserfüllung in deren Sinne selbstständig

zu planen und anzugehen. Das würde er endlich

sein. Der deutsche Captain Miller, der deutsche

Private Ryan.

Als ich mich 1987 entgegen der vorherrschen-

den Haltung in meinem gesamten Freundeskreis

entschloss, zur Bundeswehr zu gehen, hatte das

sehr viel mit diesen Prinzipien zu tun, ohne dass

ich diese damals wirklich gekannt hätte. Ein

Lehrer für Religion, Geschichte und Politik, der

mich im Gymnasium sehr geprägt hat, hatte mir

– obwohl selbst Pazifist – in einem Gespräch ge-

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

T I T E L : B E R U F S E T H O S 17