Previous Page  7 / 33 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 7 / 33 Next Page
Page Background

Dienst am „scharfen Ende“ des Berufs – Für Soldaten geht es durchaus um Leben und Tod.

Hier: zentrale Trauerfeier für die im Februar 2011 in Afghanistan gefallenen ISAF-Soldaten Hauptfeldwebel

Georg Missulia, Stabsgefreiter Konstantin Alexander Menz und Hauptgefreiter Georg Kurat.

Es gilt, sich bewusst zu machen, dass der

Grat zwischen Realitätsnähe und Schikane

gerade am scharfen Ende des Berufs, dort,

wo es um Leben und Tod geht, äußerst

schmal sein kann.

MARCEL BOHNERT

Szenarien sich deutsche Einheiten zwischen 2006

und 2013 in den nordafghanischen Unruhepro­

vinzen Kundus und Baghlan gegenübersahen

und welchen Preis sie dafür zahlen mussten.

Kampfgemeinschaften können im Ernstfall

nur dann effektiv funktionieren, wenn sie eine

starke Bindung und Geschlossenheit entwickeln.

Auch wenn es politisch nicht opportun klingt

und mit institutionalisierten Tabus in der Au­

ßendarstellung der Bundeswehr bricht: Die Pra­

xis zeigt eben doch, dass es Grenzen der Diver­

sität gibt. Das ist sozialpsychologisch keine neue

Erkenntnis. Und schon gar kein Freibrief für eine

hemmungslose Entfesselung militärischer Ge­

walt. Auch in Extremsituationen müssen zivile

Wertmaßstäbe in angemessenem Umfang erhal­

ten bleiben. Es gilt aber, sich bewusst zu machen,

dass der Grat zwischen Realitätsnähe und Schi­

kane gerade am scharfen Ende des Berufs, dort,

wo es um Leben und Tod geht, äußerst schmal

sein kann.

Die Bundeswehr ist in dieser Grauzone hoch­

sensibel, und es sind viele Möglichkeiten für Sol­

datinnen und Soldaten geschaffen worden, auf

offiziellen Wegen gegen unangemessenes Verhal­

ten vorzugehen. Neben demmöglichen Rückgriff

auf die Wehrbeschwerdeordnung, Vertrauens­

personen, Militärgeistliche, das Büro des Wehr­

beauftragten oder militärische Gleichstellungs­

beauftragte wurde im Bundesministerium der

Verteidigung die Ansprechstelle „Diskriminie­

rung und Gewalt in der Bundeswehr“ im Stabs­

element „Chancengerechtigkeit, Vielfalt und

Inklusion im Geschäftsbereich des Bundesminis­

teriums für Verteidigung“ eingerichtet. An offizi­

ellen internen und externen Einhegungsmecha­

nismen fehlt es also offenkundig nicht. Mit der

Grenzziehung ist es allerdings wohl doch nicht so

einfach, wie es derzeit öffentlich erscheinen mag.

Verurteilen lässt sich das beobachtete Verhalten

leicht, den hohen Anforderungen gerecht zu wer­

den, denen Soldatinnen und Soldaten in den dy­

namischen und hochkomplexen Einsatzszenarien

gegenüberstehen, fällt schwerer. Es ist sehr genau

zu prüfen, welche Ausbildungspraktiken, welche

Traditionen und welchen Korpsgeist die deutsche

Gesellschaft ihren Streitkräften noch zubilligen

möchte. Die pauschale Verteufelung jeglicher

Härte wäre in jedem Falle ein Fehler, der sich

in den wieder zunehmenden Auslandseinsätzen

unserer Soldatinnen und Soldaten bitter rächen

wird.

An der Notwendigkeit harter und fordernder

Ausbildung ließ im Übrigen auch der geistige

Vater der Inneren Führung, Wolf Graf von Bau­

dissin, keinerlei Zweifel. Sie war nach seinem Ver­

ständnis unabdingbare Voraussetzung für eine

glaubhafte Abschreckung im Sinne des Grund­

satzes „Kämpfen können, um nicht kämpfen zu

müssen“. Als Brigadekommandeur der Panzerbri­

gade 4 in Göttingen zeigte sich, dass er diese Ide­

en auch rigoros in die Praxis umsetzte und einer

realitätsnahen Ausbildung eine hohe Bedeutung

zugemessen hat. In den Debatten der vergange­

nen Wochen wurde immer wieder der Bezug zu

Baudissins Prämissen gesucht, oft auch ohne dass

ein ausreichendes Verständnis seiner komplexen

Führungstheorie vorhanden gewesen wäre. Dass

Innere Führung weitaus mehr umfasst als zeitge­

mäße Menschenführung und den respektvollen

Umgang mit unterstelltem Personal, blieb dabei

häufig unerwähnt. Die Konzeption definiert

beispielsweise auch die politische Mitverantwor­

tung von Militärs und fordert, daraus abgeleitet,

eine kritische Loyalität gegenüber der politischen

Leitung ein. Der richtig verstandene Primat der

Politik gebietet, dass militärische Führer als Ex­

perten ihres Faches wichtiger Teil der mit Streit­

kräften in Zusammenhang stehenden politischen

Entscheidungsprozesse sind und auf Augenhöhe

beraten. Höhere Stellen müssen ihrerseits nach­

drücklich eine offene und ungeschönte Bericht­

erstattung einfordern. Angesichts der schwieri­

gen Verfasstheit der Bundeswehr lassen sich die

Foto: Bundeswehr/Mandt

ausbleibenden öffentlichen Wortmeldungen von

Spitzenmilitärs unter diesen Gesichtspunkten

ganz sicher kritisch diskutieren. Denjenigen, die

die Innere Führung derzeit ununterbrochen als

Beruhigungspille gegenüber der aufgeschreckten

Öffentlichkeit nutzen und ihre uneingeschränk­

te Beachtung einfordern, wäre in jedem Falle

ein vertiefter Blick in Baudissins umfangreiches

Werk zu empfehlen.

Major Marcel Bohnert

ist Teilnehmer des Gene­

ralstabslehrgangs an der Führungsakademie der

Bundeswehr in Hamburg. 2011 führte er sechs

Monate lang eine Kampfeinheit in Afghanistan.

Der Artikel erschien am 29. April 2017 in der

„Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

T I T E L : B E R U F S E T H O S 13