

Das Selbstverständnis der Truppe bewegt sich
zwischen dem herkömmlichen Verständnis
von Landesverteidigung und dem Mythos vom
Kämpfer. Hier ein Scharfschütze während des
ISAF-Einsatzes.
Die Streitkräfte in
ihrer derzeitigen tiefen
Verunsicherung brauchen
eine echte Debatte
darüber, wie „Soldat sein
heute“ verstanden wird.
THOMAS WIEGOLD
wie „Soldat sein heute“ verstanden wird. In all
seinen Facetten und Ausprägungen, vom Hei-
matbetrieb über die mittlerweile in Jahrzehnten
gelernten Auslandseinsätze bis zur relativ neuen,
wiederentdeckten Abschreckung an der Nordost-
flanke der Nato. Das wird nicht einfach, und die
Debatte wird vor allem nicht nur von oben nach
Foto: Bundeswehr/Wayman
unten zu führen sein. Denn die tiefste Verunsi-
cherung gibt es weit unterhalb der Ebene des Mi-
nisteriums, der Kommandobehörden und Ämter.
Was das Selbstverständnis ausmacht, muss auch
in der Schlammzone diskutiert und verstanden
werden.
Der Journalist
Thomas Wiegold
betreibt den
sicherheitspolitischen Blog „Augen geradeaus!“.
Thomas Wiegold
Foto: Thomas Trutschel
Vor meiner Zeit bei der Bundeswehr konnte
ich mir eine Karriere beim Militär überhaupt
nicht vorstellen. Ich hatte so viele Vorbe-
halte. Dann musste ich 1994 als Wehrpflich-
tiger zur Bundeswehr und lernte meinen
ersten Spieß in Emden kennen. Dieser hat
es geschafft, meine Meinung komplett
umzukehren. Er zeigte mir Möglichkeiten auf
und dass auch jemand wie ich bei der Bun-
deswehr gebaucht wird. Heute bin ich froh,
dass ich dabeigeblieben bin. Kameradschaft,
Loyalität, Verbindlichkeit und Verlässlichkeit
hätte ich sonst in dieser Form vermutlich niemals erfahren. Ich setze mich gerne für das
Gemeinwohl ein. Unser Land ist bei allen Herausforderungen wunderbar und ich wüsste
nicht, wo ich lieber leben würde. Dafür lohnt es sich zu dienen.
Natürlich habe ich mich mit Tot und Verwundung auseinandergesetzt. Ich war zwar
selbst noch nicht betroffen, kenne aber einige Kameraden mit einsatzbedingten Verwun-
dungen und traumatischen Erlebnissen sowie Hinterbliebene von gefallenen Kameraden.
Deshalb gründete ich 2008 auch die Initiative
www.angriff-auf-die-seele.de, um über psy-
chische Einsatzfolgen aufzuklären und die Situation Betroffener zu verbessern. Die kleine
Initiative ist heute ein gemeinnütziger Verein.
Vorbilder sind für mich Menschen mit Integrität, die sich mit ihrer Überzeugung für
andere Soldaten einsetzen, auch dann, wenn es nicht leicht oder beliebt ist. Menschen, die
Loyalität nicht als Einbahnstraße sehen.
Stabsfeldwebel Frank Eggen, Psychotraumazentrum der Bundeswehr
Dinge, ohne dass die Frage beantwortet wäre,
was diesen uniformierten Staatsbürger heute ei-
gentlich ausmacht – und ob oder wie weit sich
der professionelle Soldat, den die heutige Bundes-
wehr braucht, von diesem Allgemeinheitsideal
entfernt hat.
Der Umgang mit der Tradition in der Bundes-
wehr ist zwar nur ein Teil dessen, was derzeit die
Diskussion bestimmt – aber ein wichtiger. Wenn
junge Soldaten ikonische Bilder von Kämpfern
der Wehrmacht an die Kasernenwand hängen
oder zeichnen, ist das fast nie als Reminiszenz an
die Streitkräfte eines verbrecherischen Regimes
gemeint, sondern ein Ausdruck der Suche nach
Vorbildern. Und da muss sich die heutige – ältere
– Generation der militärischen Führer fragen las-
sen, ob und warum sie ihren Untergebenen in den
vergangenen Jahren nicht andere Vorbilder haben
bieten können – oder warum solche Vorbilder of-
fensichtlich nicht attraktiv genug schienen.
Problematischer ist allerdings, dass die Debatte
darüber, was das Wesensmerkmal des Soldaten
heute ist, von inzwischen zu vielen verschiedenen
Interessen geprägt ist. Hat der IT-Spezialist, der
sich im Cyberraum bewegen und, das Wort muss
man an der Stelle auch mal benutzen, kämpfen
soll, die gleichen Interessen und Probleme wie ein
Panzergrenadier? Definiert sich der Gefreite bei
den Gebirgsjägern ebenso wie der Logistikexper-
te? Oder auch: Hat der Feldwebel in seinem fünf-
ten Auslandseinsatz das gleiche Bild von seinem
Soldatsein wie der Feldwebel, der sein Soldatenle-
ben lang aus der Heimat diese Einsätze organisa-
torisch erst ermöglicht?
„Als Soldaten und mündige Bürger sind gerade
wir es, die besonders authentisch die Sinnhaftig-
keit unseres Dienstes und den Auftrag von Streit-
kräften auch nach außen vermitteln können. Das
sollten wir nicht nur anderen überlassen“, schrieb
Generalinspekteur Volker Wieker bereits vor
fünf Jahren unter der Überschrift „Soldat sein
heute“ an die Truppe. Das klingt zwar gut, ist
aber bislang nicht eingelöst. Mehr noch: Über die
Sinnhaftigkeit des Dienstes und den Auftrag von
Streitkräften scheint es derzeit noch nicht einmal
in diesen Streitkräften selbst eine zusammenhän-
gende, auch nur halbwegs einheitliche Ansicht zu
geben.
Dass eine Debatte über eine Neufassung des
35 Jahre alten Traditionserlasses begonnen hat,
die übrigens der Generalinspekteur auch schon
– folgenlos – vor fünf Jahren gefordert hatte, ist
sinnvoll. Aber das reicht bei weitem nicht aus.
Die Streitkräfte in ihrer derzeitigen tiefen Verun-
sicherung brauchen eine echte Debatte darüber,
DIE BUNDESWEHR | JULI 2017
T I T E L : B E R U F S E T H O S 11