

ordnen, sie muss sich bilden und es gilt, sie mit
Klugheit und Verstand zu gestalten.
Von Anfang an gab es zwei Anknüpfungspunkte
für unsere Streitkräfte: die „Preußischen Refor-
men von 1808/1818“ und den „Widerstand vom
20. Juli 1944“. Nach über 60 Jahren des Beste-
hens der Bundeswehr hat sich eine eigene Tra-
dition entwickelt. Hier halte ich es mit Theodor
Fontane: „ Alles Alte, soweit es Anspruch darauf
hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir
recht eigentlich leben.“
Die Lehrgangsteilnehmer an der FüAk sind
bereits berufserfahren und zählen zu den Leis
tungsbesten. Was treibt diese Soldaten Ihrer
Meinung nach an, auch die nächsten Karriere
schritte zu tun?
Der Offizierberuf ist ein Karriereberuf. Die
Leistungsbesten wissen, dass herausfordernde
Verwendungen auf sie warten, wie etwa in der
Truppe und in nationalen und multinationalen
Stäben, im Ministerium und in vielen Verwen-
dungen imAusland. Sie zeichnen sich durch hohe
Leistungsbereitschaft aus, Ehrgeiz, Fleiß, Leiden-
schaft und Neugierde; sie wollen Verantwortung
tragen und melden ihren Führungsanspruch an.
Den Wandel, den Zweifel, das Widersprüchli-
che, Risiken und Unsicherheiten begreifen sie als
Chance und wesentliche Leistung, Streitkräfte
elastisch zu halten, rasch veränderungsfähig und
geistig wendig für den permanenten Wandel.
Im erweiterten Aufgabenspektrum der Streit-
kräfte, in Einsätzen in Krisen- und Konfliktge-
bieten finden sie Bewährung und Bestätigung
und nehmen ihre Aufgaben unter hohen persön-
lichen Belastungen auf sich. Sie wissen, dass der
Dienstherr viel in sie investiert, sich aber imLaufe
der Zeit alles wieder zurückholt.
Hatten Sie den Eindruck, dass alle Lehrgangs
teilnehmer das gleiche berufliche Selbstver
ständnis hatten oder gab es da Unterschiede?
Es gilt zu unterscheiden zwischen Berufsbild und
dem beruflichen Selbstverständnis. Während
das Berufsbild als eine vorwiegend von außen
definierte Beschreibung verstanden wird (Be-
rufsethos, geistige, praktische Anforderungen,
Einstellungen, Haltungen etc.), kommt dem
Begriff des beruflichen Selbstverständnisses die
Funktion der individuell gewählten Verortung
in einem Gesamtsystem zu. Selbstverständnis
ist dabei die Aussage eines Individuums über das
Verhältnis zum vorgegebenen Berufsbild, wie sich
der Berufsinhaber (hier der Soldat) mit seinen
Einstellungen, Eigenschaften, Fertigkeiten, aber
auch Erwartungen, vor allem an den politischen
Auftraggeber, die militärische Führung und die
Gesellschaft, sieht. Im Idealfall ergeben Berufs-
bild und Selbstverständnis eine möglichst große
Schnittmenge. Über das Berufsbild sollte Kon-
sens bestehen, im beruflichen Selbstverständnis
ergeben sich durchaus Unterschiede, was aber
auch ganz natürlich ist. Anders ausgedrückt: Wir
gehen alle auf dem gleichen Weg mit dem glei-
chen Ziel, miteinander und doch nebeneinander,
jeder auf eigenen Füßen.
Gibt es nach Ihrer Erfahrung möglicherweise
Offiziere, die trotz ihrer Berufserfahrung und
langen Dienstzeit noch einen Kompass oder eine
spezielle berufliche Identifikation suchen?
Trotz langjähriger Berufserfahrung beschäftigt
uns alle immer wieder die Suche nach dem Sinn
unseres Berufes – und das ein Leben lang. Unauf-
richtig sind diejenigen, die behaupten, bereits alle
Antworten gefunden zu haben. Wir alle suchen
ständig nach beruflicher Identifikation, müssen
Zweifel ausräumen und auch Rückschläge hin-
nehmen und unseren inneren Kompass immer
wieder neu justieren.
Neue Herausforderungen, wechselnde und unge-
ahnte Aufgaben, sich auf Risiken und Gefahren
einzustellen, machen diesen Beruf so interessant,
der aber auch ein scharfes Ende haben kann, die
Verantwortung über das Leben Anderer und den
Verlust des eigenen Lebens.
An der Führungsakademie werden auch inter
nationale Lehrgangsteilnehmer ausgebildet.
Was kennzeichnet das spezifisch deutsche sol
datische Berufsethos und was können deutsche
Offiziere von ihren internationalen Kameraden
im Hinblick auf Tradition und Führungskultur
lernen?
Das geistige Fundament der Bundeswehr mit
dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“
und unserer Führungskultur und -philosophie
der „Inneren Führung“ zählt zu den kreativsten
und innovativsten politischen Neuerungen, die
während der 50er Jahre in der Bundesrepublik
geschaffen worden sind. Diese Führungskultur
stellt sich als ein rein deutscher Weg dar und un-
terscheidet uns auch von Streitkräften westlicher
Demokratien wie auch die bereits aufgezeigten
Traditionslinien.
In der multinationalen Zusammenarbeit kön-
nen wir viel lernen. Was mir aber als viel wichtiger
erscheint, ist, dass unser Führungspersonal über
Kenntnisse der Führungskulturen, Traditionen,
historischen Entwicklungen und gesellschaftli-
chen Gewohnheiten der jeweiligen Bündnis- und
Partnerländer verfügt, damit sich einschätzen
und verstehen lässt, warum der internationale
Partner so und nicht anders handelt. Zusätzlich
gilt es, bereit zu sein zu Dialog und Kompromiss,
vor allem aber auch die Bereitschaft aufzubrin-
gen, mit Unterschieden zu leben.
Wenn Sie in einem Satz zusammenfassen
müssten, was „Soldat sein heute“ bedeutet, wie
würde der lauten?
„Soldat sein heute“ – vor allem als Vorgesetzter
– erfordert eine charakterstarke und in der Ur-
teilskraft gefestigte militärische Persönlichkeit,
die als der „stille Profi“ mit den Qualifikationen
intelligent, robust und teamfähig ausgestattet ist,
die von der politischen und ethischen Dimension
des militärischen Auftrages überzeugt in Krisen-
situationen und im bewaffneten Konflikt unter
hohem psychischen und physischem Druck Sol-
daten sicher führen kann und dabei den Auftrag
mit möglichst geringen Verlusten erfüllt und von
der Gewissheit getragen ist, einen Beruf auszu-
üben, der dem Gemeinwohl dient.
Foto: Bundeswehr/Wilke
Charakterstarke Persönlichkeiten,
die in Krisensituationen und unter
psychischem sowie physischem
Druck überzeugen: Auszeichnung der
Besatzung der Korvette „Erfurt“ mit
Einsatzmedaillen im Jahr 2016.
Generalmajor a.D.
Hans-Christian
Beck
Foto: privat
DIE BUNDESWEHR |JULI 2017
T I T E L : B E R U F S E T H O S 21