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Soldatisches Selbstverständnis
DIE BUNDESWEHR | JULI 2017
Von Winfried Nachtwei
Seit Jahren gehört die Bundeswehr zur Spit-
zengruppe der angesehenen Institutionen in
Deutschland. Die Bevölkerung hat nach allen
einschlägigen Untersuchungen großes Vertrauen
zur Bundeswehr. Im Kontext der jüngsten Be-
richte über Fälle von entwürdigendem Verhalten
bis rechtsextremen Umtrieben und dabei hoch-
kommenden Generalverdächtigungen erlebte die
Bundeswehr laut ARD-Deutschlandtrend einen
erheblichen Vertrauenseinbruch.
Der Komplex „Franco A.“ ist schockierend.
Ich frage mich, wie sich die gesellschaftliche Teil-
radikalisierung auf die Bundeswehr auswirkt.
Insgesamt ist aber mein Grundvertrauen in
die Bundeswehr ungebrochen. Es ist über Jahr-
zehnte in Begegnungen mit zahllosen Bundes-
wehrsoldaten im Inland und in den Einsatzlän-
dern gewachsen. Ich erinnere mich an sehr, sehr
viele Soldaten und Offiziere mit vorbildlicher
Haltung und Führungsstärke.
Was erwarten Politik und Gesellschaft
von den Soldaten der Bundeswehr?
Wozu sollen sie dienen, wie sollen sie richtig
handeln? Welches soldatische Selbstverständnis
Welche Erwartungen haben Politik und Zivilgesellschaft?
erwarten diejenigen, denen gegenüber Soldaten
sich im Eid verpflichten, „der Bundesrepublik
Deutschland treu zu dienen und das Recht und
die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu ver-
teidigen“?
Klare erste Antworten geben die jährlichen
Bevölkerungsumfragen des Zentrums Militärge-
schichte und Sozialwissenschaften der Bundes-
wehr: Die Soldaten sollen zuerst Schützer, Hel-
fer, Verteidiger sein: imVerteidigungsfall und bei
Naturkatastrophen. Das befürworten 90 Prozent
der Befragten. 60 bis 70 Prozent meinen, dass die
Bundeswehr auch bedrohten Verbündeten hel-
fen, sich am Kampf gegen den internationalen
Terrorismus beteiligen, Völkermord verhindern
und Krisengebiete stabilisieren solle. Im Kontext
der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik
insgesamt steht für die Bevölkerung der Einsatz
der Bundeswehr aber nicht an erster Stelle. Vor-
rang haben diplomatische Verhandlungen (81
Prozent Zuspruch), Entwicklungszusammen-
arbeit, an dritter Stelle Ausbildungseinsätze der
Bundeswehr (60 Prozent), dann Polizeieinsätze
und Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr (56
Prozent). Kampfeinsätze finden nur 31 Prozent
Zustimmung. Insgesamt besteht eine erhebliche
Foto: Bundeswehr/Weber
Soldat vor dem
Reichtagsgebäude:
der „Staatsbürger in
Uniform“
Skepsis gegenüber dem Einsatz militärischer Ge-
walt. Das zeigt sich auch bei der Bewertung der
verschiedenen Auslandseinsätze, wo gewaltarme
Einsätze die meiste Zustimmung finden.
Mein Eindruck ist, dass hier die Einstellungen
von Bevölkerung und Politik dicht beieinander
sind. Und einsatzerfahrene Soldaten wissen ganz
besonders, dass es bei heutigen Gewaltkonflikten
in der Regel keine militärische Lösungen gibt,
dass Militäreinsätze im besten Fall große Gewalt
eindämmen und Zeit kaufen können für politi-
sche Lösungen.
Wie sollen Soldaten richtig handeln?
Wie sie sich nicht verhalten dürfen, scheint hier-
zulande am schnellsten klar zu sein. Da wird
schnell geurteilt. Positive Vorstellungen vom
richtigen Verhalten von Soldaten heute werden
hingegen kaum artikuliert. Dabei sind die nor-
mativen Anforderungen durch Grundgesetz, Sol-
datengesetz, Innere Führung grundsätzlich klar:
Verpflichtung auf dieMenschenwürde als Grund-
wert, den Friedensauftrag des Grundgesetzes und
auf das Völkerrecht, die Pflichten und Rechte der
Soldaten (Staatsbürger in Uniform, treues Die-
nen, Tapferkeit, Loyalität gegenüber dem Primat
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