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Ohne die Wehrmacht geht es
nun mal nicht
Von Jens Jessen
Was ist die Tradition der Bundeswehr? Worauf
soll sie sich berufen, woran erinnern? Die Entde-
ckung einer rechtsradikalen Terrorzelle, die sich
an Wehrmachtsrelikten ergötzt, scheint einer
aufgescheuchten Öffentlichkeit und der Vertei-
digungsministerin den Gedanken nahegelegt zu
haben, dass alles zu verbieten sei, was hinter das
Gründungsdatum der Truppe zurückreicht. Die
Entscheidung der Helmut-Schmidt-Universität
jedenfalls, das Foto ihres Namensgebers zu ent-
fernen, nur weil es ihn in einer Wehrmachtsuni-
form zeigt, spricht für eine gewisse Übertreibung
beim Versuch, die Institutionen der Bundeswehr
von Zeugnissen einer verbrecherischen Vergan-
genheit zu säubern.
Wenn es wirklich ein Skandal wäre, dass Hel-
mut Schmidt im Zweiten Weltkrieg Soldat ge-
wesen ist, hätte er auch niemals Bundeskanzler
werden dürfen – und müsste im Übrigen sein
fortdauernder Nachruhm ebenfalls als Skandal
In der Debatte um die Bundeswehrtraditionen wird fleißig verrührt und verdächtigt.
Aber eine demokratische Armee muss sich den Gespenstern der Vergangenheit stellen.
bewertet werden. Oder fürchtete man, dass sein
Porträt, das Porträt eines dermaßen verehrten
Mannes, zur Ehrenrettung jener Armee beitra-
gen könnte, deren Offizier er war? Seht her, selbst
Helmut Schmidt – und so weiter?
Wenn das tatsächlich der Gedankengang war,
dann haben der Säuberungserlass der Ministerin
und, natürlich, die Enthüllungen über rechtsradi-
kale Umtriebe in der Bundeswehr ein Uhrwerk
des Selbstmisstrauens in Gang gesetzt, das die
Zeiger auf 1945 zurückstellt und alle unterdes
gewonnene demokratische Moral und Vernunft
in Zweifel zieht. Klug wäre das freilich nicht. Ei-
nem Offizier oder Offizieranwärter, mit dem die
Bundeswehr etwas anfangen will, muss jederzeit
zugetraut werden, Vergangenheit und Gegenwart
zu trennen und in der Nachkriegskarriere des
Kanzlers den Willen einer ganzen Generation
zu erkennen, die schlimme Vergangenheit hinter
sich zu lassen. Das hat die Norm zu sein; der Ver-
stoß gegen sie wäre zu ahnden, nicht, die Geltung
Foto: dpa/picture alliance
Dass die Soldaten des Wachbataillons einen Wehrmachtskarabiner zu Ehren des Widerstands am 20. Juli
präsentieren, bedeutet den Sieg der demokratischen Armee über die Gespenster der Vergangenheit.
der Norm selbst infrage zu stellen. Der Glaube
an die moralische Emanzipation bildet geradezu
die Arbeitshypothese für eine Armee der Nach-
kriegsrepublik Deutschland; andernfalls dürfte
man sie gar nicht haben.
Denn loswerden oder abschütteln kann man
die deutsche Vergangenheit nicht. Gerade darum
wäre es dumm, jede Erinnerung an die Wehr-
macht, auch an persönliche Verfehlung mancher
Bundeswehrgründer oder Namenspatronen von
Kasernen, tilgen zu wollen. Es schadet gar nicht,
wenn sich der eine oder andere Standort mit ei-
nem Namen herumschlagen muss, der im Zwie-
licht steht. Daran lässt sich erstens lernen, die
militärische Tüchtigkeit im engeren Sinne von
dem verbrecherischen Zusammenhang, dem sie
diente, zu unterscheiden, und zweitens einzuse-
hen, dass diese Tüchtigkeit nichts wert ist, wenn
sie sich missbrauchen lässt; im Gegenteil.
Es wäre interessant zu erfahren, wie die Mi-
nisterin ihren Säuberungsbefehl mit der Aus-
DIE BUNDESWEHR | JULI 2017
T I T E L : B E R U F S E T H O S
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