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Gao: Auch das deutsche Engagement bei

MINUSMA in Mali ist alles andere als ungefährlich.

der Frage nach dem Berufsethos des Soldaten

scheint es zunächst, als liege hier Vieles im Argen,

ja, als habe die sogenannte Innere Führung versagt.

Ein ergänzender Blick auf das Thema findet

sich in einem Beitrag in der „Frankfurter Allge-

meinen Zeitung“ vom 7. Juni 2017. Im Artikel

von Thomas Thiel („In der Hitze des Gefechts;

Das neue Ideal des Kämpfers: ein ethnologischer

Blick auf die Führungsdebatte in der Bundes-

wehr“) war etwa zu lesen: „Zweitens formuliert

der Kodex keine Regeln für die neuen Kampfsitu-

ationen, sondern geht davon aus, dass anspruchs-

volle ethische Prämissen auch in Gefahr durch in-

ternalisierte Reflexe abgerufen werden. Das setzt

einen intellektuellen Transfer voraus, der am

einfachen Soldaten und der Gefechtswirklichkeit

vorbeigeht. Lässt sich noch herleiten und disku-

tieren, wenn die Gefahr in Sichtweite ist? (…)

Über die Auslandseinsätze (…) dringe das unpoli-

tische Ideal des Kämpfers in das ideelle Vakuum.

Der einsatzerprobte Soldat bediene die gesteiger-

te Sehnsucht nach Vorbildern für die existentielle

Situation des Kampfes, (…).“

Ist das so? Fest steht, dass heute auch Töten und

Sterben Teil der Einsätze sind, nachdem während

des Kalten Kriegs das Prinzip „Kämpfen können,

um nicht kämpfen zu müssen“ galt.

Die Szenarien sind jedoch vielfältig: Wir haben

den Einsatz eines einzelnen Militärbeobachters

oder des sogenannten Expert on Mission in einer

UN-Mission. Daneben gibt es den Angehöri-

gen eines multinationalen Stabs oder den Aus-

bilder. Öffentlich wahrgenommen aber werden

eher die großen Missionen unter Kapitel VII der

UN-Charta, in denen militärische Gewalt nicht

nur zur Notwehr oder Nothilfe, sondern auch

zur Durchsetzung des Auftrags erlaubt ist. Da-

bei sind aber auch gerade die Belastungen für die

„Einzelkämpfer“ nicht zu unterschätzen, die für

die UN im Einsatz sind – oftmals unter kargen

Lebensumständen – und bisweilen in einem Kri-

sengebiet nicht einmal eine Waffe zur Selbstver-

teidigung tragen.

Der Autor einer Masterarbeit der Freien Uni-

versität Berlin aus dem September 2016 hielt fest,

dass bis dahin mehr als 5000 Mal die Einsatzme-

daille „Gefecht“ verliehen wurde. Das Gefecht als

Extremsituation dominiert demnach nicht die

Einsatzrealität: Nur etwa 1,32 Prozent der bisher

eingesetzten Soldaten (rund 380 000) haben, sta-

tistisch betrachtet, eine Gefechtssituation erlebt.

Der Kampf war im Einsatz bisher eher die Aus-

nahme.

Gleichwohl haben Hunderte von Soldaten

der Bundeswehr im Kampf gestanden und sich

bewährt. Ich weiß aus vielen Berichten und Ge-

sprächen, dass die Leistung unserer überwiegend

noch sehr jungen Führer im Gefecht überzeugt

hat – auch bei unseren Partnernationen. Noch

wichtiger: Wo die deutsche Staatsanwaltschaft

von Amts wegen untersucht hat, wurde die

Rechtmäßigkeit und Angemessenheit ihres Han-

delns bestätigt.

Heute berichten militärische Führer offen:

„Wenn das Gefecht läuft, wird nur noch das ab-

gerufen, was geübt und befohlen wurde. Jetzt

zeigt sich der tatsächliche Zusammenhalt des

Zugs und der damit verbundene Kampfwert.

Kein Soldat hat gezögert. (…) Der Zug hat funk-

tioniert. Bei allem Kampfesmut und Willen zur

Auftragserfüllung der Soldaten, so muss man sich

doch bemühen, dass das Gefecht nicht zur Selbst-

verständlichkeit oder etwa gewöhnlich wird. We-

der für die unterstellten Soldaten noch für einen

selbst. Menschlich bleiben und die Achtung vor

dem Menschlichen eben sollten nicht in Verges-

senheit geraten. Keiner meiner Soldaten hat Ker-

ben in seine Schulterstütze geritzt oder Striche an

seinen Helm gemalt.“

Hier zeigt sich, dass die moralischen Prinzipi-

en auch in solch belastenden Gefechtssituationen

nicht verloren gehen. Neben dem Stolz auf die ei-

gene Leistung, die Auszeichnung, auf die Bewäh-

rung und die gelebte Kameradschaft offenbart

sich in der Achtung des Gegners und der Sorge

um den Kameraden sowie die anvertrauten Men-

schen ein positives Menschenbild.

Dieses Bild spiegelt sich – leider öffentlich

wenig beachtet – auch wider im Bericht der so-

genannten Nachtwei-Kommission: „Die Aussa-

gen der Soldaten (…) zu ihren Einsatz- und Ge-

fechtserfahrungen zeugten durchweg von hoher

Professionalität und Ernsthaftigkeit. (…) Dass

zur Erfüllung des militärischen Auftrags immer

auch die besondere Rücksichtnahme auf die Zi-

vilbevölkerung gehört, ist für unsere Soldaten

offenkundig und selbstverständlich.“

Insgesamt ist der ethische Anspruch an den

Soldaten heute höher als je zuvor. Er ist nicht

nur militärischer Fachmann, sondern auch poli-

tischer Verantwortungsträger in einer hochkom-

plexen Realität. Er ist Kämpfer und setzt – falls

notwendig – militärische Gewalt ein. Er ist aber

auch Vertreter seines Landes gegenüber dem

fremden Kulturkreis, als Helfer, Vermittler, Be-

schützer, Ausbilder und Partner. Somit ist heute

weit mehr von ihm gefordert als nur die Kernbe-

fähigung des Kämpfers.

Zur Bewältigung dieser Herausforderungen

ist die umfassende einsatzorientierte Ausbildung

von herausragender Bedeutung. Die Grundsät-

ze der Inneren Führung können im richtigen

Verständnis von moderner Auftragstaktik den

Rahmen für Handlungsfreiheit, aber auch für

die gebotene Verantwortung unserer Soldaten

setzen. Einsatzrealität heute – unter unmittel-

barer Bedrohung für Leib und Leben – kann

für den Einzelnen eine extreme Erfahrung sein.

In vielen Gesprächen schilderten mir Soldaten

diese prägenden Erfahrungen. Dabei führten sie

ihre Handlungssicherheit im Einsatz (und imGe-

fecht) maßgeblich auf eine realitätsnahe, wo ge-

boten, auch harte und gemeinsam erlebte Ausbil-

dung sowie das daraus resultierende militärische

Können und auf das Vertrauen in ihre militäri-

schen Führer zurück. Dieses Vertrauen ist dann

besonders groß, wenn tatsächlich das Prinzip

des „Führens von vorn“, die soziale Kompetenz

der Vorgesetzten, der Gefahren und Belastungen

teilt, und persönliche Fürsorge erlebt wird.

Das Wissen um eine bestmögliche medizini-

sche Versorgung, eine moderne Ausrüstung und

die uneingeschränkte Gewissheit einer umfassen-

den Fürsorge für die Familienangehörigen ergän-

zen die Anwendung der Grundsätze der Inneren

Führung.

Die Innere Führung hat sich aus meiner Sicht

auch in den extremen Einsatzsituationen be-

währt. Dabei sind es die innere Haltung jedes

Einzelnen, der eigene „moralische Kompass“ und

die Führungskompetenz militärischer Vorge-

setzter, die durch alle Phasen tragen können. Ich

bin daher vor dem Hintergrund meiner eigenen

langjährigen Erfahrungen bereit, die Hand für

die Truppe ins Feuer zu legen. Die ganz überwie-

gende Anzahl unserer Soldatinnen und Soldaten

steht auf dem Boden des Grundgesetzes und, be-

wusst oder unbewusst, der Inneren Führung. Sie

haben sich durch ihre Haltung, ihr Auftreten und

die Art und Weise ihrer Pflichterfüllung hohes

Ansehen erworben. Das Fehlverhalten Einzelner,

das durch unser funktionierendes System abge-

stellt oder geahndet wird, kann und darf daher

auf diese Leistungen keinen Schatten werfen. Wir

können stolz auf unsere Soldatinnen und Solda-

ten sein und ihnen das hart verdiente Vertrauen

schenken. Ich persönlich empfinde Respekt und

Hochachtung sowie Dankbarkeit.

Foto: Bundeswehr

Generalleutnant

a.D. Rainer Glatz

war in seiner

letzten dienstli-

chen Verwendung

Befehlshaber des

Einsatzführungs-

kommandos.

Foto: privat

DIE BUNDESWEHR | JULI 2017

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